Der mit den Farben tanzt

Die neue schwarze Serie. Sie zeigt eine unendliche, unbezwingbare Leidenschaft. In ihrer ganzen Eleganz. Fern jeder Mode und Oberflächlichkeit. Eine Leidenschaft, die sich nicht einfangen lässt, die sich nicht kaufen lässt, die frei ist wie ein Tier. Die lauert, vibriert, die Türen öffnet und uns befreit, wenn wir sie erleben. Nur dann sind wir wirklich da. Alles andere schränkt uns ein. Sie ist rastlos wie ein Panther im Dschungel, sie scheint gefährlich, aber sie ist es, die uns beruhigt.

Die Bilder haben dieser Gefahr eine Gestalt gegeben. Sie zeigen uns, dass es möglich ist, mit ihr zu leben. Doch nur, wenn wir sie in aller Tiefe und Offenheit zulassen. Wenn sie Gestalt annimmt. Etwa so, wenn wir Tänzern zuschauen, wie sie sich in die Weisheit des Tango vertiefen, um ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Die Bilder sind der Beweis, dass man Tango auch malen kann. Der eigentlich kein Tanz ist, sondern eine tiefe Form der priesterlichen Weisheit, die wir alle in uns tragen, wenn wir kompromisslos und leidenschaftlich lieben. Er ist Kraft und Zerbrechlichkeit in einem. Eine ruhige, tiefe, endlos tiefe Stimme an meinem Ohr. Ich ziehe die Linien über diesen schwarzen Körper der Bilder. Diese Bilder sind sehr dicht. Sie geben trotzdem Luft zum Atmen und sie geben uns Raum. Aber sie nehmen uns gefangen in einer hohen Spannung. Sie erzählen vom endlosen vorwärts rückwärts unserer Beziehungen. Das heiße Verlangen, das Elend und die Erschöpfung. Es ist alles im Unterbewusstsein da, verdrängt, verschüttet, begraben. Dabei ist es doch ein so wichtiger Teil unseres Lebens. Die Bilder, der Tanz, sie bringen es hoch, bringen es zu uns, vereinen uns mit unseren Gefühlen, das ist gut. Dann lassen sich die Erinnerungen, die überschäumende Freude, die Energie und die Trauer um das Ende bewegen. Die Gefühle in Gedanken fassen und sie lösen aus der Erstarrung. Ich bewege sie so, wie ich tanze, wie ich sehe. Geschmeidig, wehmütig, süchtig und mit einem Ergebnis das mit gehört. Mit einer neuen Erkenntnis die mich weiter bringt, weg von dem Stillstand hin, auf einen neuen Weg in die Zukunft. Manchmal fließen mir die Tränen über das Gesicht, wenn es mir gelingt, so zu tanzen als wären wir eine Person, wenn wir ganz im Rhythmus in unseren Bewegungen in einander fließen. Und nur hören, was die Musik uns sagt. So wie die Bilder etwas in uns auslösen, was mit den Melodien, dem Rhythmus des Tango vergleichbar ist. Schaue ich sie an, höre ich diese Musik. Sie beruhigt. Sie ist Tanz. Diese Bilder sind Tanz. Sie sind Musik und Bewegung in einem absolut vollendeten Stil, den nur Menschen ausdrücken und fühlen können, die frei sind.

Diese Bilder-Serie ist das Zeugnis einer tiefen Freiheit, gekoppelt an eine Weisheit, die so selten ist, dass sie uns betroffen macht und die den ganz klaren und eindeutigen Wert dieser Bilder ausmacht. Betroffen, weil wir unsere Beschränkung erkennen. Und weil wir gleichzeitig sehen, was noch möglich ist, was vor uns liegt, dass diese Leidenschaft keine Grenzen kennt, sie eher überwindet. Selten und wertvoll, weil die Bilder uns sagen, dass nur beides einen tiefen Sinn ergibt, in dessen Spannungsfeld sich unser Leben bewegt. Unsere erkennbare Beschränkung und die erfahrene Grenzenlosigkeit. Und ich kann meinen Schmerz teilen, denn er wird von dem anderen mitgetragen, es wird leichter, viel leichter. Es ist als würde jemand mein Herz in der Mitte öffnen und ihm Wärme einhauchen und es wieder zusammenfügen, weil sich plötzlich eine unglaubliche Nähe herstellt. Eine körperliche und geistige. Zwischen dem Maler und uns genauso, wie zwischen zwei Tänzern. Es ist eine reine und extreme Form der Kommunikation, die auch zeigt, wie wenig wir sonst kommunizieren. Dann wird die Musik, werden die Bilder, zum breiten Steg auf dem wir laufen. Das geht nur mit größter Konzentration und komischerweise mit Menschen die man nie zuvor sah, deren Namen man nicht kennt. Wir müssen den Maler nicht kennen, um mit ihm zu reden, wir müssen den nicht kennen, mit dem wir tanzen. Trotzdem sind wir uns nah. Tango lehrt uns zu warten, auf die Reaktion bzw. die Vorgaben des anderen. Diese Bilder lehren uns, genau hinzuschauen.

Wir erzählen uns dann tanzend jeweils unsere Lebensgeschichten, die so verschieden sie sind, sich doch zu gleichen scheinen sonst würden wir einander in der Sprache des Tanzes, der ja spontan ist, nicht verstehen.

Wir folgen unserer Choreografie des Lebens. Wir tanzen mach mal endlos oft die selben Figuren und doch sind sie jedes mal anders. Wir nehmen uns dabei wechselseitig unseren Schmerz ab und lassen den anderen Teil an unserer Freude, Leidenschaft und Angst haben. Leben unsere Aggressionen aus und unsere Sehnsucht nach Liebe, Harmonie, Geborgenheit und Berührung.

Die Bilder führen uns in ihrer Ruhe und Genauigkeit in diese Tiefen, sie zeigen uns plastisch immer wieder diese Ausprägungen, die zunächst gleich scheinen und es doch nicht sind. Denn; warten wir auf die Vorgaben des anderen? Schauen wir genau genug hin? Wenn man das im wahren Leben auch tut, kommt man zu völlig neuen Erkenntnissen. Das ist eine Form von Zen-Weisheit, die ich so vorher nicht kannte. Es zeigt auch, das Leben ist viel einfacher, als wir es uns machen, da die meisten Menschen die Dinge selbst vorgeben, die sie von uns wollen, um mit uns in Kontakt zu treten, zu kommunizieren. Wir nehmen diese Zeichen bloß nicht mehr wahr und können darum auch nicht darauf reagieren. Weil wir uns selbst mit unserer Meinung zu sehr in den Vordergrund stellen, ohne darauf zu achten, was der andere uns sagt. Wir reagieren letztendlich nur auf uns selbst und nicht auf die anderen.

Ein Kreislauf der nicht funktionieren kann, da er die anderen irgendwann völlig ausschließt. Plötzlich zeigt sich, jeder spricht eine andere Sprache, es lohnt sich abzuwarten, was der andere tut, oder uns zeigt. Doch die meisten überholen nur sich selbst - man braucht nichts tun, ihnen nur in aller Ruhe zuzuschauen und schon setzen sie sich selbst vielfach ins Aus. Das kannte ich so vorher nicht. Diese schwarzen Bilder des Tango sind eine ausgezeichnete Konzentrations- und Kommunikationsübung. Sie eröffnen neue Welten, die vieles, vieles leichter machen, denn sie zeigen: Viele Spannungen und Probleme die man ursprünglich auf sich bezog, haben gar nichts mit einem selbst zu tun, sondern meist mit den Menschen von denen sie ausgehen. Viele Menschen stecken bedauernswert fest im Morast ihrer eigenen Gefühle und je mehr sie um sich schlagen, desto tiefer und fester geraten sie in den Sumpf. Andererseits gibt man ihnen die Zeit und Ruhe und die Luft zu reagieren, geht es oft in eine ganz unerwartete Richtung und es geht tatsächlich vorwärts auf eine gute Art und Weise.

Da plötzlich auch für einen selbst dann mehr Raum da ist, den der andere auf eine leichte Art frei macht, da er sich schon bewegt hat. Es ist zutiefst ausgewogen und dialektisch. Die Freiheit, die du dem anderen gewährst, gibt er dir zurück. Das kann man in diesen Bildern der Leidenschaft von Gustavo da Liña, aus Uruguay, (dem Ursprungsland des Tango), erleben.

 

 

Suzanne Tenhagen

Berlin, 2.7.2008